Als wir erfuhren, dass im Rahmen der Begabtenförderung ein Schreibworkshop, welcher von Frau Rehr organisiert wurde, stattfinden würden, waren wir als „Hobby- Schriftstellerinnen alle sehr erfreut und aufgeregt.
Wir versprachen uns viel, vor allem eine Weiterentwicklung unseres Schreibstils, hatten aber auch viele Fragen: Zum Beispiel, wie man trotz Motivationsverlust weiterschreibt oder auch, wie man ein Buch interessant strukturiert.
Die Schriftstellerin und Dozentin Kathrin Lange, welche selbst neben Krimis auch schon viele Jungendbücher geschrieben hat, sollte den Workshop leiten. In einer Vorbesprechung lernten wir uns kennen und durften unsere Wünsche äußern.
Am 18.05 war es dann soweit: Die Schriftstellerin wurde zugeschaltet und wir durften uns in einer kleinen Runde den ganzen Schultag unserer Leidenschaft, dem Schreiben, widmen. Sie erklärte uns verschiedene Schreibtechniken und Stilmittel, sowie den typischen Aufbau eines Romans und machte sich einen Eindruck von unserem Schreibstils.
Besonders ansprechende war es, dass wir viel selbst kreativ tätig werden konnten und zu unseren jeweiligen Texten ein persönliches Feedback und Verbesserungsvorschläge bekamen.
Am Ende kann man sagen, dass unsere Erwartungen erfüllt und sogar übertroffen worden, dass alle unser Fragen beantwortet wurden und wir viel Neues gelernt haben. Es war auch interessant, von jemandem aus der Literaturpraxis Anregungen und Einblicke in das Leben als Schriftstellerin zu bekommen. Wir würden uns sehr freuen, wenn es weitere Angebote dieser Art geben könnte und würden es auch jedem*r anderen*r Schüler*in, die sich für das Schreiben interessiert, empfehlen, denn es hat sehr viel Spaß gemacht!
Von Enid Grösch (9c)
Hier ein Text von Enid, der den Titel “Trügerische Erinnerungen” trägt.
Ich schaue mir noch einmal das Foto an. Es wurde vor unserem Haus aufgenommen. Im Hintergrund sieht man gerade die Sonne untergehen und die Wolkendecke am Himmel sich rot färben.
Mama und Papa stehen Arm in Arm da.
Sie ist kleiner als der Durchschnitt, Papa hingegen größer.
Mama hat braune lockige Haare, die zu allen Seiten abstehen.
Auch wenn sie versucht hat, sie in einem Zopf im Nacken zu bündeln.
Dadurch wirkt sie ein wenig zerstreut.
Mama hat ihre Lieblingsjeans an und darüber den grünen Fließpulli.
Der kratzt schrecklich.
Papa steht da, wie immer.
In einem Anzug.
Dort war er schwarz.
Bis auf das weiße Hemd
Auch die Krawatte und die Lackschuhe waren schwarz.
Ganz der Uni-Professor.
Paps Haar wird schon langsam grau.
Grau, wie die Farbe seiner Augen.
Mamas Augen hingegen strahlen.
In einem Farbton der Hoffnung.
Mama hat eine Hand auf die Schulter von Lilly gelegt.
Lilly war damals 10.
Ihre kurzen lockigen braunen Haare fielen ihr in die Augen.
Sie hat die gleichen Augen wie Mama.
Rehaugen. Wie Tommy sie nennt.
Sie trägt im Prinzip die gleichen Klamotten wie Mama.
Paps meinte, sie sähe genauso aus wie ihre Mutter.
Papa hat Tommy eine Hand auf die Schulter gelegt.
Und Tommy die Hand seiner Zwillingsschwester ergriffen.
Er sieht aus wie sie.
An dem Tag hatten sie das Gleiche an.
Es macht es schwierig sie auseinanderzuhalten.
Doch Lillys Sommersprossen sind dunkler als die von Tommy.
So kann man sie auseinanderhalten.
Oder ich zumindest.
Alle lächeln.
Sogar Papa.
Nur ich bin nicht da.
Das war ihr Vorwurf.
Ich sei nie da.
Damals war ich auch nicht da.
Könnte ich es ändern, wäre ich da gewesen.
Nicht in der Bücherei, wie sonst jeden Samstag.
Ich werfe das Foto von mir zurück in die Kiste, aus der es kam. Sie ist aus schlichtem Holz, in dem Deckel habe ich vor Jahren mal die Worte „Die schönsten Momente hat man nicht auf Fotos, sondern im Kopf und im Herzen.“ eingraviert. Ich hatte sie einmal in einem Buch gelesen und fand sie für eine Fotobox sehr passend. Sie zeigen, dass der Schein, den man auf Bilder wahren kann, in Erinnerungen nicht besteht. Deshalb habe ich früh angefangen, alles aufzuschreiben, um die Erinnerungen nicht durch die Eindrücke von Bildern zu verfälschen.
Die Box und einen Fotoapparat hatte ich zu Weihnachten, in dem Jahr, in dem Tommy und Lilly geboren wurden, bekommen.
Ich war damals fünf und ganz begeistert von der Idee alles aufzuzeichnen, um bloß nichts zu vergessen.
Und für eine Fünfjährige waren Fotos besser, als alles aufzuschreiben, dachten sich meine Eltern. Ich hatte nichts gegen das Schreiben oder Lesen. Beherrschen tat ich es schon länger. Generell war ich in vielen Sachen sehr viel weiter als andere Kinder. Und ich hatte festgestellt, dass es für mich nichts Schlimmeres gab als etwas zu vergessen.
Mit der Geburt der Zwillinge hatte ich angefangen darüber nachzudenken, wie ich damals wohl war. Doch mir ist nichts eingefallen. Dass hat mich total in Panik versetzt und meine Eltern verstanden nicht, warum dies so schlimm war. Mit dem Versprechen, mir alles haargenau zu erzählen und mir alle Fotos zu zeigen, die es gab, schafften sie es mich zu beruhigen.
Jetzt bin ich anderer Meinung. Ich möchte noch immer alles wissen und nichts davon vergessen. Doch ich habe gelernt, wie Haruki Murakami es so schön ausdrückt: „Erinnerungen erwärmen dich von innen heraus. Aber sie können dich auch auseinanderreißen.“
Und meine zerreißen mich.
Ich höre wie meine Tür aufgerissen wird, spüre wie mir vorsichtig die Box aus den Händen genommen wird. Doch nichts davon dringt wirklich zu mir durch. Ich bin viel zu sehr damit beschäftigt, dass nagende schwarze Loch aus Schmerz in meiner Brust klein zu halten. Denn wenn ich zulasse, dass es sich ausbreitet, schaffe ich es womöglich nicht mehr, es zurückzudrängen. Und das schaffe ich nur, indem ich mich ablenke, also zähle ich alles auf, was ich über Maria Theresia weiß. Was eine ganze Menge ist, da ich ein fotografisches Gedächtnis habe.
Sara fragte mich einmal: Warum Geschichte? Du kannst alles perfekt, aber nur Geschichte ist deine Leidenschaft. Warum?
Ohne zu zögern antwortete ich darauf: „Geschichte heißt sich erinnern. Man belebt vergessene Sachen neu. Oder verhindert, dass sie vergessen werden. Die Schwierigkeit liegt hierbei jedoch nicht darin, ein Problem nach bestimmten logischen Grundsetzen zu lösen. Die Schwierigkeit liegt darin, dass jeder Mensch unterschiedlich ist. Die gleichen Sätze von zwei verschieden Menschen aufgeschrieben, können etwas völlig anderes bedeuten. Jeder interpretiert etwas anderes hinein. Und genau darum geht es in der Geschichte. Die Menschen, die etwas hinterlassen haben, kennenzulernen und sie zu verstehen, um auch ihr Vermächtnis zu verstehen und die Gesellschaft, in der sie gelebt haben. Jedes Bild und jedes Schriftstück gibt einem einen neuen Einblick, wirft eine neue Perspektive auf, die man am Ende zu einem Gesamtbild vervollständigt, welches jedoch noch immer Lücken und Geheimnisse birgt. Die Geschichte hat nie ausgedient, denn man sollte nichts vergessen. Zum einen, um Fehler nicht zu wiederholen zum anderen, um das große Ganze nicht aus den Augen zu verlieren.“
Sarah kniet sich vor mir nieder und streicht sich eine Strähne des roten Haares aus der Stirn. Sie hat ein liebliches, rundes Gesicht und volle rote Lippen. Ich liebe sie, nicht nur weil sie sehr geduldig ist, sondern auch, weil sie mich, auch jetzt, zu nichts drängt, doch eines Tages werde ich mit ihr darüber sprechen müssen, werde ihr alles erklären müssen, doch nicht heute, noch immer habe ich nicht die Kraft dazu, vielleicht habe ich sie nie.
Ich werfe ihr ein „alles ist gut Lächeln“ zu, doch traue mich noch nicht zu sprechen, da ich mir nicht sicher bin, ob meine Stimme mitspielen würde.
Sarah weiß, dass ich manchmal einfach ein bisschen Zeit für mich brauche, wenn mir alles zu viel wird und versteht, dass genau jetzt solch ein Moment gekommen ist.
Trotzdem lässt sie es sich nicht nehmen, mir einen zweifelnden Blick zuzuwerfen, bevor sie wortlos das Zimmer verlässt.
Ich lehne mich im Sessel zurück und schließe die Augen. Um mich wieder zu sammeln, tu ich das, was ich in solchen Momenten immer tue: Ich fange an etwas zu analysieren, es hilft mir, auf andere Gedanken zu kommen. Doch heute scheine ich etwas nostalgisch veranlagt zu sein, weshalb ich im Geiste noch einmal meine Lieblingserinnerung durchspiele. Ich nehme mir die einzelnen Gefühle hervor und analysiere genau, um mich noch einmal daran zu erinnern, dass das Leben nur eine Produktion aus den Entscheidungen ist, die wir treffen und die Gefühle nur eine Reaktion auf diese.
Im Geiste sehe ich den mit Strohsternen und echten Kerzen geschmückten Weihnachtsbaum noch einmal vor mir. Ich sauge die Luft gierig ein und meine, den vertrauten Duft von Kiefernnadeln und verbranntem Holz aus dem Kamin, riechen zu können.
Das erste Gefühl: Die Erwartung, Erwartung darauf loszustürzen und das Geschenk, auf welches in der verschnörkelten Handschrift meiner Mutter mein Name steht. Auch damals saß ich in dem Sessel, in dem ich auch jetzt noch sitze, meine Beine reichen noch nicht bis auf dem Boden und deshalb schlage ich mit ihnen immer wieder aufgeregt auf das Polster, auch meine Finger auf den Lehnen trommeln im Takt.
Mit einem strahlendem Lächeln wendet Papa sich mir zu, im Arm hält er Tommy, während Lily schlafend in eine Decke gewickelt im Korb liegt.
„Nur noch ein bisschen Geduld Prinzessin.“
Resigniert lasse ich den Kopf hängen und versuche, Papa noch einmal zu erklären, warum ich keine Prinzessin bin.
„Ich weiß, ich weiß!“, fällt er mir lachend ins Wort und streicht mir über den Kopf.
„Sieh, da kommt Mama auch schon.“
Ich reiße den Kopf herum und blicke mit großen Augen auf das in Zeitungspapier eingeschlagene Buch, welches sie in den Händen hält.
Sie läuft an uns vorbei und setzt sich neben Lilly auf den Boden vor dem Weihnachtsbaum, mit der Hand bedeutet sie uns näher zu kommen.
Nun bin ich gespannt, sie wird als nächstes die Weihnachtsgeschichte vorlesen. In dem Buch, welches einen braunen Ledereinband hat, befinden sich wunderschönen Bild, das sie gezeichnet hat. Ich beuge mich vor und sauge die Worte in mich auf.
„Hey, wir wollen anfangen und es ist nicht fair, uns alle so auf die Folter zu spannen. Siehst du, selbst Tommy stimmt mir zu.“
Papas Worte reißen mich aus meiner Trance und ich stürze vor, um mir das Geschenk mit meinem Namen zu sichern.
Ganz vorsichtig löse ich die Klebestreifen ab, immer darauf bedacht, das Geschenkpapier nicht zu beschädigen.
Es dauert eine Weile, denn meine Hände sind die eines Kindergartenkindes, doch schließlich gleitet das Papier zu Boden.
Nun bin ich erstaunt, lese noch einmal die Worte, die auf der Box stehen, die ich nun in den Händen halte. Fotokamera mit HD-Auflösung.
Dann springe ich abermals auf und umarme erst Papa und dann Mama stürmisch, in Gedanken fange ich bereits an, ein Loblied für die beiden zu dichten.
„Na, sprachlos?.“
Ich boxe Mama leicht auf den Arm.
„Ich bin nie sprachlos, ich habe immer etwas zu sagen.“
„Und immer das letzte Wort“, fügt Papa noch hinzu.
„Stimmt gar nicht“, setzte ich beleidigt an, stoppe mich dann aber schnell, weil ich bemerke, dass ich ihm damit nur recht gebe, stattdessen strecke ich ihm die Zunge raus und setze mich demonstrativ auf Mamas Schoß.